Das Tarot spielt in der Popkultur immer wieder eine (meist kleine) Rolle, ganz besonders in Genres, die sich mit dem Unheimlichen, Verborgenen, Mysteriösen befassen. Dezidierte „Tarot-Horrorfilme“ gibt es aber nicht viele.
Umso spannender, dass 2024 gleich mehrere filmische Interpretationen entstanden: Einerseits die koreanische Serie „Tarot“, andererseits ein ebenfalls einfach „Tarot“ genannter US-amerikanischer Horrorfilm. Um diesen geht es hier.
Handlung und Charaktere
Achtung! Die folgende Beschreibung enthält diverse Spoiler, und auch wenn der Plot insgesamt vorhersehbar ist, sollte man sich ggf. erst den Film ansehen!
Eine Freundesclique um die 20 mietet sich ein altes Herrenhaus, um in den Geburtstag einer der Anwesenden hinein zu feiern. Auf der Suche nach mehr Alkohol dringen sie in einen abgesperrten Keller voller Kuriositäten ein — und finden ein altes, handgemaltes Tarot-Deck. Eine der Anwesenden (man könnte sagen: die Protagonistin) entpuppt sich nicht nur als Astrologie-Expertin, sondern auch als kartenkundige Wahrsagerin.
Die anderen lassen sich – manche begeistert, andere widerwillig – von ihr die Karten nach einem sehr eigenwilligen astrologischen System legen. Alle bekommen als „So wird das alles enden“-Karte einen Trumpf (etwa Der Narr, Der Eremit, Der Magier).
Der Horror beginnt
Zurück in der Zivilisation und nur etwa 20 Minuten nach Start des Films beginnen dann nach Horrorfilm-Manier die Charaktere, einer nach dem anderen zu sterben. Dabei werden sie jeweils von einem Monster, das ihrem Schicksals-Trumpf entspricht, mehr oder weniger brutal ermordet. Das weiß aber nur die Zuschauerin, denn zunächst sehen die Tode nach Unfällen aus – auch wenn man sich nur schwer vorstellen kann, wie jemand „acht Volltreffer mit einer Dachbodenleiter“ für einen Unfall halten kann.
Die Polizei ist jedenfalls keine Hilfe, aber im Internet finden die jungen Erwachsenen eine heiße Spur: Eine „in der Astrologie-Community umstrittene“ Wahrsagerin hat über mysteriöse Todesfälle nach Tarot-Readings publiziert. Von ihr erfahren unsere Protagonistinnen, was hinter dem Ganzen steckt.
Die ahistorische Hintergrundgeschichte
Im 18. Jahrhundert hatte eine ungarische Wahrsagerin („The Astrologer“) großen Erfolg mit ihrem eigenen, astrologisch informierten Legesystem — zufälligerweise (?) demselben, das auch die Protagonistin nutzt. Durch diese Kombination von Horoskop und Tarot konnte „sie „The Astrologer“ die Zukunft treffsicher vorhersagen. Ihr Dienstherr, ein Graf, war aber mit der Prophezeiung unzufrieden, dass seine Frau mit Kind bei der Geburt sterben würde. Er jagte sie davon. Als die Prophezeiung dann aber eintrat, bezichtigte er die Wahrsagerin der Hexerei und ermordete „an eye for an eye“ deren Tochter.
Die (bis dahin unschuldige) Wahrsagerin sann von nun ab nur noch auf Rache an den Mördern ihres Kindes und der ganzen Welt — hier klingt ein „Female-Rage“-Motiv an, das nachvollziehbar ist, aber unterentwickelt bleibt. Die Wahrsagerin opferte sich sodann selbst in einem düsteren Ritual und versah ihr Tarot-Deck mit der magischen Fähigkeit, jeden zu töten, dem mittels des Decks (und der astrologischen Legeweise) die Zukunft vorhergesagt wurde. Genau so kam es – und kommt es heute wieder, denn das Deck unserer Protagonistinnen ist freilich genau dieses alte Deck.
Eine historische Anmerkung sei gestattet: Die astrologischen Korrespondenzen des Tarot sind, soweit mir bekannt, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und insbesondere von Eliphas Levi. Mir ist nicht bekannt, dass die Großen Arkana vorher bereits mit Sternzeichen oder Planeten assoziiert worden waren – sicherlich nicht im (späten) 18. Jahrhundert, wo die esoterische und divinatorische Verwendung des Tarot gerade erst in Mode kam. Und sicherlich nicht in Ungarn. (Zudem sei darauf hingewiesen, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine ungarische bäuerliche Wahrsagerin ihre Karten englisch beschriften würde.)
Das Finale: Fate isn’t sealed
Ab sofort klickt die „Threat Clock“, weitere der jungen Leute sterben, aber schließlich gelingt es der Protagonistin, „The Astrologer“ zu besiegen: indem sie ihr die Karten legt und sie daher mit den eigenen Waffen schlägt. Dass hierbei auch noch eine Liebesgeschichte ihr Happy End findet und die Protagonistin ihren kindheitstraumabedingten Leitsatz, das Schicksal sei unabänderlich, überwindet, ist eher Nebensache.
Bewertung
Insgesamt gibt es am Film einiges auszusetzen. Sehr viele der Jump-Scare- und Horror-Effekte wirken ziemlich billig oder schlecht getimed. Zudem sind viele Entscheidungen von Charakteren nur bedingt nachvollziehbar. Man kennt es aus dem Horror-Genre.
Am Ende bleiben zudem leider einige wichtige Fragen offen. Etwa:
- Wem gehört eigentlich das Haus, in dem die Jugendlichen das Deck finden?
- Wie ist das Kartenlegen für „The Astrologer“ möglich, wenn ihr Geburtshoroskop nicht bekannt ist?
- Woher kennt die Protagonistin das Legesystem („Spread“) der Astrologin aus dem 18. Jahrhundert?
Solche Auslassungen wirken weniger „mysteriös“ als vielmehr nicht zu Ende gedacht.
Tarot-Kritik
Und auch Tarot-spezifisch kann man sich beschweren:
- Das Tarot kommt vor allem als stimmungsvolle Requisite vor – und als Inspiration für die Monstren, denen die Teenager zum Opfer fallen. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier Potenzial verschenkt wurde, wenn man an „symbolische Horrorfilme“ wie „The Ninth Gate“ („Die neun Pforten“) denkt. Das Tarot wird einfach nur genutzt, um Jump Scares und Todesszenen zu rechtfertigen.
- Die esoterische Moral des Films könnte lauten: Benutze nie das Deck eines anderen, um die Karten zu legen! Diese Regel wird von der Protagonistin gebrochen, als sie zum Deck aus dem Keller greift — und der Horror des Films ist die direkte Folge dieser Regelübertretung. In der realweltlichen Praxis des Tarot scheint diese Regel aber keineswegs unwidersprochen.
- Die Todesarten sind relativ willkürlich. So lockt die Laterne (Der Eremit) einen Charakter in einen U-Bahn-Schacht, um ihn dann vor eine einfahrende Bahn zu scheuchen. Und Die Hohepriesterin erschlägt einen anderen Charakter schlicht mit der Dachbodenleiter (s.o.). Der Magier ist einfach ein Bühnenmagier, der einen weiteren Charakter zersägt. Das ist alles sehr oberflächlich und wenig „esoterisch durchdacht“, wenn auch teils sehr unterhaltsam.
- Die Tarot-Expertin, die den Jugendlichen hilft, stirbt durch eine Karte der kleinen Arkana: Sie wird von sechs Schwertern durchbohrt. Warum man hier eine sehr positive Karte wie die Sechs der Schwerter, die eher für Reise und Veränderung steht, wählte, entzieht sich meinem Verständnis. Die Neun der Schwerter wäre passender gewesen.
- Sinngemäß gilt das genauso für die Todesursache „Zwei der Münzen“ des ungarischen Grafen, die als Handschellen in der Badewanne intrepretiert wurde.
Das Positive
Man sollte den Film aber dennoch gucken. Warum?
- Die Atmosphäre ist gut. Sie changiert zwischen „Final Destination“-Vibes, „Evil Dead“-Beschwörungs-Reue und altmodeischem Massachusetts-Haunted-House-Horror. Das Ganze würde auch als Rollenspielkampagne (etwa für „Call of Cthulhu“) sehr gut funktionieren.
- Einige der Charaktere sind sympathisch und unterhaltsam, zum Beispiel der vapende True-Crime-Fan-Nebencharakter, der regelmäßig und messerscharf die Situation analysiert, aber nur überlebt, weil ihn sein Mitbewohner im Aufzug überrascht — kurz bevor ihn „Der Narr“ dort fressen kann.
- Es gibt einige großartige Zeilen: „Er ist ein Erdzeichen, und man hat ihn im Dreck gefunden!“, als Beweisführung, dass Astrologie funktioniert. Und: „Sie ist innerhalb der astrologischen Community aber sehr umstritten“ als Charakterisierung der hilfreichen Tarot-Expertin aus dem Internet.
- Die finale Lehre — das Schicksal ist nicht festgelegt, man kann es ändern — ist sympathisch, gerade bei einem Film über esoterisch-okkulte Weissagungspraktiken.
- Aber am wichtigsten: „Tarot“ nimmt sich nicht ganz ernst, im Gegensatz etwa zu Filmen wie „Hereditary“, die dann ihrem Anspruch doch nicht gerecht werden können.
Fazit: Sehenswert.
PS: Der Film beruht übrigens auf dem Roman Horrorscope von Nicholas Adams (Pseudonym von John Peel). Darin scheint Tarot aber keine Rolle zu spielen:
A 1992 young adult horror novel about a serial killer targeting high school students. He chooses his targets based on their zodiac sign and that day’s horoscope
Kommentare
Eine Antwort zu „Kurzrezension: „Tarot“ (US-Horrorfilm, 2024)“
[…] Dieser Beitrag erschien zuerst bei Tarot-Guide.de. […]